Hormon- und Zykluswissen

Stress - Nebenniere - Adaptogene

Stress - Nebenniere - Adaptogene

Von Stress, der Nebenniere und Adaptogenen

- Autorin: Melanie Dell’Oro

In unserem letzten Beitrag haben wir uns in das große Thema Stress gestürzt. Und wir waren überrascht, wie weitreichend dieser Themenkomplex im Kontext weiblicher Zyklus dann doch ist. Aus diesem Grund wollen wir einzelne Aspekte der Stressreaktionen noch mal genauer beleuchten und vor allem herausfinden, wie wir unseren Körper unterstützen können.


Stress und Zyklus, wie war das noch gleich?

Kurz zur Wiederholung: andauernder Distress, also der schädliche Stress, kann u.a. dazu führen, dass der weibliche Zyklus völlig aus den Fugen gerät. Ursächlich dafür ist zum einen die mangelhafte Ausschüttung von Sexualhormonen durch eine mangelnde Aktivierung durch das Gehirn. In der Folge dieser Unregelmäßigkeit kommt es zu einem Mangel an Progesteron und dadurch z.B. zu einer verminderten Fruchtbarkeit. Zum anderen kann langfristig ein Leistungsschwund der Nebenniere resultieren. Von der Nebennierenrinde werden verschiedene Hormone gebildet, die einen Einfluss auf die Bildung der Sexualhormone haben. Ohne diese Hormone sinkt die Libido. Und als wäre das nicht schon genug, wird auch noch die Serotoninausschüttung gebremst - die Folge sind u.a. Müdigkeit, Antriebsschwäche und Gewichtszunahme. 

Wer bin ich? Nebenniere

Progesteronmangel, ein Teufelskreis

Wir hatten ja bereits angesprochen, dass eine geschwächte Nebenniere weniger Hormone produziert, die eigentlich zur Ausschüttung unserer Sexualhormone führen sollen. Bildet unser Körper zu wenig LH und FSH, resultiert daraus irgendwann auch ein Progesteronmangel. Dazu kommt aber nun auch noch, dass Progesteron wiederum als Vorläufer für Cortisol dient. Anhaltender Stress führt also dazu, dass der Progesteronmangel verstärkt wird, indem aus dem verfügbaren Progesteron auch noch Cortisol gebildet werden soll. Progesteron wird auch das “Wohlfühlhormon” genannt. Ein Mangel an Progesteron hat vielfältige Symptome wie Reizbarkeit, Ungeduld, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, spannende Brüste, Haarausfall, Menstruationsschmerzen oder  Zyklusunregelmäßigkeiten. Klingt irgendwie vertraut für euch? Bingo.

Hormone wie Progesteron oder Cortisol kann man übrigens testen lassen. Solltet ihr einen Verdacht habe, sprecht doch mal eure*n Frauenärzt*in darauf an.


In der Hauptrolle: Die Nebenniere

Erstaunt hat uns, dass wir diese uns bekannten Symptome des PMS vorher nicht in direkten Zusammenhang mit einer Überlastung durch Stress gesetzt haben und diese Thematik zumindest bei unseren Frauenärzt*innen auch noch nicht angesprochen wurde. Noch überraschter waren wir, als wir herausfanden, dass es ein ganz eigenes Syndrom für die Gesamtheit der oben beschriebenen Symptome gibt: das Rushing Woman’s Syndrom. 

In diesem Post wollen wir uns anschauen, wie wir unseren Körper unterstützen können. Die Hauptrolle spielt heute also die Nebenniere.

Tipp: Strategien, wie Stress erst gar nicht überhand nimmt und was man tun kann, wenn der Stress akut ist, findet ihr in unserem Artikel, in dem sich alles um Stress, seine Entstehung, Folgen und Stressmanagement dreht.


Schokolade zum Frühstück? Mit Ernährung unterstützen

Die Nebenniere ist für die Ausschüttung einer Vielzahl von Hormonen und Hormonvorläufern verantwortlich. Dauerhafter Stress und die Anpassungsmechanismen der Nebenniere können diese auf Dauer so sehr schwächen, dass die Produktion der Hormone nicht mehr angemessen gut funktioniert. Neben einem gesunden Stressmanagement kann also auch die Unterstützung der Nebennierenfunktion eine Verbesserung der Stresssymptome bewirken. 

An dieser Stelle kommt eine gesunde Ernährung ins Spiel. Denn das von der Nebennierenrinde gebildete Cortisol ist ein natürlicher Gegenspieler zum Insulin. Insulin wird von der Bauchspeicheldrüse gebildet und ausgeschüttet, um freien Blutzucker in die Zellen des Körpers einzuschleusen. Hier dient der Zucker (Glukose) als wichtigster Energielieferant für alle Stoffwechselprozesse im Körper. Lebensmittel, welche kurzkettige Kohlenhydrate enthalten (z.B. Weißmehlprodukte oder Produkte mit hohem Gehalt an raffinierten Haushaltszucker, Kuchen, Kekse, Süßigkeiten oder Softdrinks) sorgen für einen starken Anstieg des Blutzuckers. Umso kürzer die Kette, desto schneller erfolgt der Abbau in die einzelnen Zucker und desto mehr Zucker gelangt mit einem Mal in die Blutbahn. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Insulinfreisetzung - der Zucker soll aus dem Blut schnellstmöglich in die Zellen geleitet werden, denn ein erhöhter Blutzucker hat eine schädliche Wirkung nicht nur auf unsere Blutgefäße. 


Insulin vs. Cortisol

Die meisten Prozesse in unserem Körper sind durch Rückkopplungsmechanismen reguliert. So auch die Insulinausschüttung. Nun tritt die Nebenniere auf: Um eine Unterzuckerung durch zu starke Insulinwirkung und einen resultierenden Energiemangel zu vermeiden, greift diese regulierend durch die Produktion von Cortisol ein. 

Bei ungünstigen Ernährungsmustern strapaziert das die Nebenniere aber auf Dauer zusätzlich. Um die Nebennierentätigkeit zu schonen, sollten daher besser Lebensmittel ausgewählt werden, die reich an langkettigen Kohlenhydraten sind. Langkettige Kohlenhydrate werden im Darm langsam abgebaut und gelangen so kontinuierlich und gleichmäßig in den Blutkreislauf. Der Blutzuckergehalt wird über einen langen Zeitraum konstant im gewünschten Bereich gehalten und somit auch die Insulinausschüttung gering gehalten. Langkettige Kohlenhydrate findet man in großen Mengen in Vollkornprodukten, Gemüse und auch Obstsorten.


Dann die Schokolade aber zum Rotwein am Abend, oder? 

Nein, auch das empfehlen wir euch nicht. Wie wäre es stattdessen mit einer Handvoll Nüsse? Um eine Unterzuckerung über Nacht zu vermeiden, bietet es sich nämlich an, am Abend eine eiweißreiche Mahlzeit zu sich zu nehmen. Eiweiße können über einen längeren Zeitraum konstant als Energiequelle dienen. Ein positiver Nebeneffekt ist hier auch, dass die Schlafqualität verbessert wird, weil der Körper nicht mehr geweckt wird, um eine drohende Unterzuckerung zu melden. Für ein reichhaltiges Abendessen bieten sich also ganz besonders Hülsenfrüchte oder Gerichte mit Tofu oder Tempeh an.


Koffein macht munter und schwächt die Nebenniere

Es liegt nahe, bei erhöhtem Stressaufkommen zur ein oder anderen Tasse Kaffee zu greifen. Immerhin macht die ja effektiv wach und aufmerksam. Das macht auch Sinn, denn schließlich sorgt das Koffein für eine Adrenalinausschüttung. Aber da liegt sie auch, die Krux. Eine erhöhte Adrenalinausschüttung bedeutet ja wieder auch eine erhöhte Aktivierung der Nebenniere. Und das sollte wirklich vermieden werden, wenn diese eh schon auf Reserve läuft. Statt koffeinhaltiger Getränke bietet es sich an, lieber ein paar Schritte an der frischen Luft zu laufen, sich am Fenster ein paar tiefe, achtsame Atemzüge zu gönnen oder eine kleine Bewegungspause - das geht auch im Bürostuhl - zu gönnen. Erholsamer, regelmäßiger Schlaf und eine vollwertige, pflanzliche Ernährung wirken zusätzlich Wunder gegen Müdigkeitsattacken am Tag.

Hilfe und Tipps für die Nebenniere

Natürlich stark gegen Stress: Die Gruppe der Adaptogene 

Ein gesundes Stressmanagement und Achtsamkeit mit dem eigenen Körper sind das A&O, um gesundheitsschädlichen Dauerstress zu vermeiden. Doch auch bestimmte Pflanzeninhaltsstoffe können den menschlichen Organismus dabei unterstützen, sich an Stresssituationen anzupassen, die Stressreaktionen bis zu einem bestimmten Level zu reduzieren und einen gesundheitsschädlichen Zustand hinauszuzögern. Man nennt die Gruppe dieser Pflanzen deshalb Adaptogene (engl. to adapt - sich anpassen). Adaptogene haben drei wesentliche Merkmale:

  • Sie erhöhen die Widerstandskraft gegen physikalische, chemische oder biologische Reize.
  • Sie haben einen normalisierenden Effekt auf Stoffwechselvorgänge.
  • Sie sind unschädlich (auch langfristig) und beeinflussen die normalen Körperfunktionen nicht stärker als gebraucht.

Adaptogene, die gegen Stress eingesetzt werden können, unterstützen zumeist auch die Nebennierentätigkeit - Win Win.

Grund genug, sich diese Pflanzen mal ganz in Ruhe anzusehen.

Ashwagandha

Ein in der Ayurveda populäres Adaptogen, das bei Stress eingesetzt werden kann, ist beispielsweise Ashwagandha (Withania somnifera). Ashwagandha, zu deutsch Schlafbeere, unterstützt die Funktion von Schilddrüse und Nebennieren und sorgt somit für einen geregelten Hormonhaushalt. Ashwagandha-Einnahme kann das stressbedingte Ungleichgewicht der Sexualhormone, insbesondere FSH, Testosteron und Progesteron, wieder normalisieren. Spannend ist hier, das ein Testosteron-Anstieg nur bei Männern, nicht aber bei Frauen beobachtet wurde. Ashwagandha reduziert die Stressreaktion des Körpers und wirkt außerdem auch noch antioxidativ und antientzündlich.

Ashwagandha und Tulsi, das heilige Basilikum - Adaptogene Ayurveda

Tulsi, das Heilige Basilikum

Ebenfalls eine wichtige Heilpflanze in der indischen Medizin ist Tulsi (Ocimum sanctum). Das sogenannte Heilige Basilikum wirkt regulierend auf den Cortisolspiegel indem es die Hormonausschüttung an der Hypophyse beeinflusst. So kann es den oben beschriebenen Effekten einer Über- oder Unterproduktion entgegenwirken. Auch die Ausschüttung der Vorläufer der Sexualhormone kann durch Tulsi reguliert werden.

Sibirischer Ginseng

Der Sibirische Ginseng (Eleutherococcus senticosus) und seine vielfältigen Anwendungsbereiche wurden mehr oder weniger zufällig, auf der Suche nach einer günstigeren Alternative zum Ginseng, entdeckt. Sibirischer Ginseng, auch Taigawurzel genannt, wirkt stimulierend auf die Nebennieren und bewirkt eine reduzierte Stressanfälligkeit. Im Tierversuch wirkte sich die Taigawurzel positiv auf die Bildung von LH und damit auch Progesteron aus. Traditionell wird sie in Russland schon lange als potenzsteigerndes Mittel eingesetzt. Außerdem wirkt der Sibirische Ginseng gegen verschiedene Symptome von Dauerstress, z.B. aktiviert er das Immunsystem und verbessert die Immunantwort.

Was hilft sonst noch?

Weitere Heilpflanzen, die nicht als Adaptogene bezeichnet werden, aber eine stimulierende Wirkung auf die Nebenniere haben, sind die Süßholzwurzel (Glycyrrhiza glabra, Vorsicht, kann Bluthochdruck verursachen und verschlimmern!), Ingwer (Zingiber officinale) und Gingko (Gingko biloba). Diese gibt es z.B. als Arzneitees in der Drogerie frei verkäuflich zu erwerben.



Quellen:
Wagner, H; Nörr, H; Winterhoff, H; Plant adaptogens;  Phytomedicine, 1994 Jun;1(1):63-76.
Panossian, A, Wagner, H. Stimulating effect of adaptogens: an overview with particular reference to their efficacy following single dose administration. Phytother Res.2005 Oct;19(10):819-38
Rahmati, B et al, Effect of Withania somnifera (L.) Dunal on Sex Hormone and Gonadotropin Levels in Addicted Male Rats, Int J Fertil Steril Jul-Sep 2016;10(2):239-44.
Belal, NM et al., Effect of dietary intake Ashwagandha roots powder on the levels of sex hormones in the diabetic and non-diabetic male rats. World Journal of Dairy & Food Sciences, 2012 Vol.7 No.2 pp.160-166 ref.29 
Lopresti, AL et al, An investigation into the stress-relieving and pharmacological actions of an ashwagandha (Withania somnifera) extract: A randomized, double-blind, placebo-controlled study, Medicine (Baltimore). 2019 Sep;98(37):e17186
Richard EJ et al. Anti-stress activity of Ocimum sanctum: Possible effects in hypothalamic-pituitary-adrenal axis. Phytother Res. 2016 May;30(5):805-14
https://progesteron.net/progesteronmangel/, abgerufen am 15.8.21