- Autorin: Melanie Dell’Oro
Und, welchen Hormoncocktail hattest du heute schon? Nein, damit meinen wir leider kein neues Szenegetränk, das meinen wir ganz ernst. Shampoo, Duschbad, Zahnpasta, ein bisschen Make-Up und dann vielleicht noch unterwegs etwas Mineralwasser aus der praktischen Plastikflasche und das vorgekochte Mittagessen schnell in der Tupperbox warm gemacht - klingt das nach Dingen, die du täglich verwendest und tust? Dann solltest du jetzt die Ohren spitzen, denn in allen diesen Produkten und Gegenständen des täglichen Lebens können Substanzen - die endokrinen Disruptoren - stecken, die dir und deinem Zyklus ordentlich zusetzen können.
Endokrine was?
Endokrine Disruptoren. Ein komplizierter Begriff für über 800 aktuell identifizierte Substanzen, die uns in unserem täglichen Leben fast kontinuierlich begleiten. Sie verstecken sich in dekorativer Kosmetik, Hygieneartikeln, Sonnenmilch, in Reinigungsmitteln, in Spielzeug, Plastikverpackungen, ja, sogar in deinem Duschvorhang und dem Kassenbon, den du vorhin in dein Portemonnaie gestopft hast. Also in erstaunlich vielen Dingen, obwohl sie viele wissenschaftlich nachgewiesene Gesundheitsrisiken bergen. Irreversible Störungen der Entwicklung des ungeborenen Kindes, verfrühte Pubertät, Fortpflanzungsstörungen, Östrogendominanz, Testosteronmangel oder Krebs der Fortpflanzungsorgane sind nur ein kleiner Auszug aus den Effekten, die der Kontakt mit endokrinen Disruptoren für uns haben kann. Ganz besonders stehen auch die sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Typ 2 Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht sowie Lern-und Gedächtnisschwierigkeiten im Fokus der Forschung an endokrin wirksamen Substanzen.
Unser Hormonsystem
Zu den oben aufgezählten Störungen kommt es, da die endokrinen Disruptoren mit unserem physiologischen Hormonsystem interagieren und dieses beeinflussen. Unser Hormonsystem besteht aus 3 Komponenten:
- die endokrinen Drüsen (wie Schilddrüse, Nebennieren, Bauchspeicheldrüse)
- den Hormonen, die von diesen Drüsen ausgeschüttet werden (z.B.Schilddrüsenhormone, Stresshormone oder Sexualhormone)
- und den Zielzellen, an denen die Hormone wirken.
Die Hormone selber sind also Signalmoleküle, die in unserem gesamten Körper verantwortlich für die Steuerung der Entwicklung, des Wachstums, der Reproduktion und auch unseres Verhaltens sind.
Endokrine Disruptoren beeinflussen das Hormonsystem
An allen diesen Stellen können nun die Substanzen, die als endokrin aktiv klassifiziert sind, ansetzen und schaden. Bisher wurden zur Definition 4 Wirkmechanismen festgesetzt:
- Hormonrezeptor vermittelte Wirkung: Die endokrinen Disruptoren können durch eine Strukturähnlichkeit mit den Hormonen an deren Rezeptoren binden und die eigentliche Hormonwirkung so schwächen oder verstärken.
- Veränderung der Rezeptoraktivität: Die Aktivität der Rezeptoren wird erhöht oder erniedrigt durch die Menge der gebildeten Rezeptorproteine.
- Veränderung der Hormonkonzentration: Die endokrinen Disruptoren stören die Produktion der natürlichen Hormone, deren Freisetzung oder deren Transport im Blut und in die Zellen.
- Veränderung des Abbaus natürlicher Hormone: Die endokrinen Disruptoren stören den Hormonmetabolismus, indem sie z.B. Enzyme hemmen, die das Hormongleichgewicht aufrecht halten sollen.
Oftmals sind die genauen Mechanismen noch gar nicht so sicher nachgewiesen, recht klar ist aber, dass die endokrinen Disruptoren bei Frauen den Östrogensignalweg verändern und mit den Östrogenrezeptoren interagieren und dass sie bei Männern die Androgenrezeptoren stören.
Und wer taucht wieder auf? Das gute alte PMS
Dadurch, dass endokrine Disruptoren im weiblichen menschlichen Körper mit dem Signalweg des Östrogens interagieren, kann es zu einer sogenannten Östrogendominanz - einfach: einem Zuviel an Östrogen - kommen. Ein Zuviel an Östrogen bringt die ganzen unschönen Symptome mit sich, die Frauen* als PMS (prämenstruelles Syndrom) bekannt sind. Aber nicht nur Kopfschmerzen, spannende Brüste, Gewichtszunahme oder Reizbarkeit gehen mit der Östrogendominanz einher. Auch langfristige und schwerwiegende Folgen wie Zysten der Eierstöcke, Zyklusstörungen mit Fruchtbarkeitsstörungen oder Krebserkrankungen der Eierstöcke und der Gebärmutter können durch ständigen Östrogenüberschuss entstehen. Wir sollten also mal genau hinschauen, von welchen Substanzen wir hier gerade sprechen.
Wo komme ich denn mit endokrinen Disruptoren in Kontakt?
Wie schon angesprochen, befinden sich die Substanzen, die endokrin aktiv sind, in beinahe allen Dingen des täglichen Lebens. Zu großen Teilen nehmen wir sie über unsere Haut auf: als Bestandteil von Kosmetik und Sonnenschutzprodukten, als Stoff in Druckerfarbe oder als Bestandteil von Matratzen und Teppichen zum Beispiel. Leider nehmen wir die Substanzen aber auch über die Ernährung zu uns. Hier finden sie ihren Einsatz als Pestizide in der Landwirtschaft, als Wachstumsfaktoren in der Viehzucht oder eben als Weichmacher in den Verpackungen oder Aufbewahrungsbehältern für unser Lieblingsessen. Es gibt sogar sehr viele Lebensmittel, die endokrine Disruptoren - nämlich die sogenannten Phytoöstrogene - enthalten. Aber ihr könnt aufatmen, für den normalen, abwechslungsreichen Verzehr von sehr phytoöstrogenhaltigen Lebensmitteln wie z.B. Soja, Bohnen, Knoblauch, Leinsamen, Brokkoli oder Grünkohl wurde noch kein für den Menschen schädlicher Effekt nachgewiesen. Ganz im Gegenteil, Phytoöstrogene verringern das Risiko für verschiedene Krebsarten und schützen vor Arteriosklerose und Osteoporose.
Fokus Kosmetikprodukte
Die Liste der als endokrinen Disruptoren klassifizierten Substanzen ist wie gesagt sehr lang. Wir möchten uns deshalb in diesem Artikel besonders auf die Stoffe in Kosmetik konzentrieren. Laut einer Studie vom BUND enthalten ca. ein Drittel der auf dem Markt verfügbaren Kosmetikprodukte endokrine Disruptoren. Die Industrie argumentiert, dass das kein Problem wäre, da es ja für jede Substanz gesetzliche Vorgaben für Höchstgrenzen gibt. Viele von den Produkten enthalten aber nicht nur eine der Substanzen, sondern einen regelrechten Chemikaliencocktail (Cheers!) und teilweise sogar Stoffe, die in die Kategorie 1 der Prioritätenliste für hormonell wirksame Chemikalien der EU (Kategorie 1 heißt höchste Priorität, deren Schädlichkeit abzuklären) eingeordnet werden.
Welche Substanzen sind problematisch?
Aktuell sind dies 16 Substanzen, die laut INCI-Liste für kosmetische Inhaltsstoffe auch in Kosmetik vorkommen können. Insbesondere zu den Parabenen und den Phthalaten gibt es bereits weitreichende Untersuchungen:
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Konservierungsmittel: Parabene (Methylparaben, Propylparaben, Ethylparaben und Butylparaben)
Parabene sind die am häufigsten eingesetzten Konservierungsstoffe, da sie als besonders hautfreundlich und wirksam gelten. Trotz der nachgewiesenen Beeinflussung des Hormonsystems werden sie in Kosmetik oft nicht ersetzt, weil andere Konservierungsstoffe teilweise ein noch höheres allergenes Potential aufweisen. Methyl- und Ethylparaben gelten als sicher, Propylen- und Butylparaben sind verboten in Produkten, die bei Kindern unter 3 Jahren im Windelbereich angewendet werden. Zuvor wurden weitere Parabenvarianten völlig für den Einsatz verboten. Viele Erkenntnisse über Parabene kommen vor allem aus Tierversuchen mit Ratten, wo besonders die Wirkung auf die Reproduktionsorgane nachgewiesen wurde. Interessant ist, dass die Absorption von Parabenen über die Haut bei Menschen höher ist als bei Ratten und auch der Abbau der Parabene zu dem ungefährlichen Produkt PHBA scheinbar bei Menschen nicht vollständig und langsamer als bei Ratten erfolgt.
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Denaturierungsmittel: Diethylphthalate (DEP)
Phthalate sind oft nicht auf dem Etikett zu erkennen, da sie vor allem dafür genutzt werden, Alkohol zu vergällen, also von trinkbaren in ungenießbaren Alkohol zu verändern (die Industrie umgeht so die Steuer für Trinkalkohol). Wenn man Glück hat, steht in der Zutatenliste Alcohol dent, oft aber einfach nur Alkohol. Phthalate stehen in Verbindung mit dem verfrühten Einsetzen der Pubertät, mit einer verringerten Spermienzahl, niedrigen Testosteronleveln und gutartigem Hodenkrebs. Phthalate finden sich außer in Kosmetik z.B. auch in Tabletten und Kapsel oder Wandfarben, Tapete und Spielzeug.
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UV-Filter: Ethylhexyl Methoxycinnamate (OMC), 4-Methylbenzylidene Camphor, 3-Benzylidene Camphor
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UV-Absorber: Benzophenone-1, Benzophenone-2
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Haarfärbemittel: Resorcinol
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Conditioner: Cyclotetrasiloxane
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Antioxidationsmittel: Butylhydroxyanisol (BHA)
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Bakterizid: Boric Acid
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Hautpflegemittel: Hydroxycinnamic acid
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Hautschutzmittel: Dihydoxybiphenyl
Wie erkenne ich, ob ein Produkt schädliche Substanzen enthält?
Da alle in einem Produkt enthaltenen Substanzen auf dem Etikett angegeben werden müssen, kannst du versuchen, dir markante Namensbestandteile (z.B. -phthalate, -parabene) zu merken und sie dann direkt beim Kauf abzugleichen. Eine weitere Möglichkeit: du meidest bestimmte Hersteller und deren Produktlinien. Eine Liste mit Hersteller findest du im BUND-Infoblatt “Der Kosmetik-Check - Hormoncocktail im Badezimmer” .
Aber sind wir mal ehrlich, alle Substanzen merken, alle Hersteller kennen - wem soll das gelingen? Weil es so viele komplizierte Namen und Stoffe gibt und diese teilweise auch noch mit unterschiedlichen Bezeichnungen daherkommen, ist es einfacher, wenn du dir auf deinem Smartphone eine App installierst, die für dich die Etiketten analysiert. Das Gute ist, dass diese dir dann nicht nur sagt, welche endokrinen Disruptoren sich im Produkt verstecken, sondern auch, welche anderen ungesunden Stoffe noch enthalten sind (denn davon gibt es auch noch einige).
Etabliert haben sich folgende Apps:
ToxFox: Diese App hat der BUND entwickelt. Der Etiketten-Scan sagt dir, welche Substanzen sich im Produkt verstecken und solltest du dich gerade besonders darüber ärgern, kannst du über die App direkt eine Beschwerde an das jeweilige Unternehmen senden.
CodeCheck: Diese App analysiert für dich das Etikett und gibt dir auch Zusatzinformationen an, z.B. ob das Produkt vegan ist. Zusätzlich kannst du auf der Webseite von CodeCheck direkt nach Produkten mit bestimmten Inhaltsstoffen suchen.
Aber gibt es überhaupt Alternativen?
Endokrine Disruptoren befinden sich in so gut wie allen Gütern des täglichen Lebens. Sie völlig zu meiden ist beinahe aussichtslos. Trotzdem gibt es einige Möglichkeiten, den Kontakt zu Produkten, die diese gesundheitsschädlichen Substanzen enthalten, zu verringern.
- Kosmetik: Hier solltest du auf zertifizierte Naturkosmetik setzen. Die Betonung liegt auf zertifiziert, denn nur die Siegel seriöser Organisationen garantieren, dass bestimmte Substanzen in der Produktion nicht eingesetzt wurden. Vertrauenswürdig sind z.B. die Siegel vom BDIH, von Natrue, Cosmos und das Ecocert. Bei Sonnenschutz solltest du lieber Produkte wählen, die mit einem mineralischen Filter auskommen. Achte hier auch darauf, dass das Produkt korallenfreundlich ist und meide Spray, da diese das Einatmen von schädlichen Substanzen erhöhen. Nagellacke enthalten oft problematische Lösungsmittel. Hier gibt es aber von den Herstellern mittlerweile den Hinweis (“3-, 5-, 7- oder 12-free”), dass ihr Produkt 3 bis 12 dieser Substanzen nicht enthält.
- Reinigungsmittel: Aus verschiedensten Gründen sollte man bei Reinigern auf etablierte Bio-Marken zurückgreifen.
- Selber machen: Hast du schon mal versucht, Kosmetik oder Reinigungsmittel selber herzustellen? Das ist gar nicht so schwierig, meist viel günstiger und du hast den totalen Überblick über alle Inhaltsstoffe.
- Lebensmittel: Konventionell angebaute Lebensmittel werden oft mit Pestiziden behandelt. Diese kannst du vermeiden, indem du so oft es geht Bio-Lebensmittel kaufst. Frisch kochen und der Griff zu gering verarbeiteten Lebensmitteln verringert die Wahrscheinlichkeit, dass du problematische Stoffe zu dir nimmst. In der Massentierhaltung werden wachstumsfördernde Substanzen eingesetzt, die sich auch im Endprodukt befinden. Versuche also so gut es geht, auf tierische Lebensmittel zu verzichten. Besonders Wassertiere, die ja als Fisch oder Meeresfrüchte auf unseren Tellern landen, sind durch unser Abwasser ständig den im Wasser löslichen schädlichen Substanzen ausgesetzt. Dadurch reichern sich diese an und werden dann von dir direkt verzehrt. Greife also lieber zu der großen Palette an pflanzlichen (Bio-)Lebensmitteln.
- Plastikprodukte: Hier kannst du darauf achten, dass du Produkte wählst, die das Siegel BPA-(oder Bisphenol A-)frei tragen. Bei BPA handelt es sich um einen Weichmacher, der sowohl in Plastikflaschen als auch in Spielzeug, Vorratsdosen etc. vorkommt. Diese Substanz ist in den letzten Jahren stark in die Kritik geraten, da sie mit Prostata-, Gebärmutter- und Eierstockkrebs, verfrühter Pubertät und Fruchtbarkeitsstörungen in Verbindung gebracht wurde. Seitdem weisen Hersteller gezielt aus, wenn ihr Produkt frei von Bisphenol A ist.
FunFact zum Schluss: Ist dir aufgefallen, dass die Einkaufszettel neuerdings blau sind? Das liegt daran, dass BPA seit 2020 nicht mehr im Druckerpapier der Einkaufsbons verwendet werden darf.
Statement Codecheck
Im ursprünglichen Artikel haben wir hier Codecheck empfohlen, um die Inhaltsstofflisten von Kosmetik zu überprüfen. Wir haben Stimmen aus der Community erhalten, die uns darauf hinwiesen, dass es bezüglich Codecheck Ungereimtheiten zu den Quellen und Bewertungskriterien gibt. Wir haben diese Stimmen gehört und euch nachfolgend relevante Artikel aufgelistet, die die App Codecheck kritisch beleuchten. Bildet euch gern diesbezüglich eine Meinung, ob die App für euch in Frage kommt und ihren Nutzen für euch erfüllt.
Sämtliche in unserem Blog-Artikel verschriftlichte Informationen stammen aus den von uns am Ende des Artikels genannten Quellen und stehen in keinerlei Zusammenhang zu Codecheck.
https://ivysveganpoison.com/2016/03/13/einige-kritikpunkte-zu-codecheck-info/ abgerufen am 28.2.22
https://www.incipedia.de/codecheck-marktforschung-in-gruen/, abgerufen am 28.2.22
https://www.magi-mania.de/codecheck-kritik-1/, abgerufen am 28.2.22
https://rp-online.de/digitales/apps/codecheck-zweifelhafte-app-fuer-kosmetik-check_aid-21489701, abgerufen am 28.2.22